Patagonia hat sich für die Gratwanderung zwischen Nachhaltigkeit und Profit entschieden. Wir wollten wissen, ob und wie das funktioniert.

Patagonias Gratwanderung in die Zukunft – Patagonia zwischen Nachhaltigkeit und Profit

Die Weltbevölkerung wächst stetig und mit ihr der Konsum, nur unsere Lebensgrundlage, die Erde, wächst nicht mit. Ein Fakt, der nur wenige zu interessieren scheint. Anders lässt sich unser Verhalten nicht erklären, dass wir nach wie vor ohne Rücksicht auf Verluste konsumieren und so die endlichen Ressourcen unseres Planeten sinnlos verpulvern. Kapitalismus basiert auf Wachstum – ein Konzept, das auf dem Planeten Erde in der Sackgasse steckt! Patagonia gewinnt seit Jahren an Beliebtheit und steigert seinen Absatz. Kann das Eco-Label seinen Erfolg mit der Philosophie der Nachhaltigkeit tatsächlich unter einen Hut bringen oder handelt es sich letztlich doch nur um einen cleveren Marketing-Coup?

Eines zu Beginn gleich vorweg: Alle Textilanbieter kochen nur mit Wasser, so auch Patagonia! Denn würde es eine 100-prozentige ökologische Alternative zur konventionellen Textilproduktion geben, würden diese wohl die meisten Marken aufgreifen und um setzen. Aber es regt sich etwas in der Branche und Patagonia ist eine der Marken, die aktiv an den Stellschrauben für nachhaltige Produktionsketten und bewussteren Konsum drehen. Patagonias „Kaufe nur, was du wirklich brauchst“-Strategie scheint gut anzukommen, denn die Marke aus dem kalifornischen Ventura konnte in den vergangenen Jahren trotz der Botschaft, dass wir weniger kaufen sollen, ihren Umsatz deutlich steigern.

Für die Marke stehen die Umsatzrekorde der vergangenen Jahre nicht im Widerspruch zur Firmenphilosophie der Nachhaltigkeit. Eine etwas paradoxe Situation, die leicht das Gefühl vermitteln kann, dass hinter der ganzen Ökonummer eher eine clevere Marketingstrategie als ein echtes Eco-Brand steckt. Aber der Outdoor-Spezialist setzt seine Vorreiterrolle als grünes Label nicht nur beim Image gewinnbringend ein, sondern nutzt auch konsequent seinen Erfolg dazu, um tatsächlich seinem Ruf als Vorreiter gerecht zu werden. Patagonia sieht das eigene Wachstum als Chance, ein wirksameres Sprachrohr für Aktivismuskampagnen zu schaffen. Doch bevor wir einen Blick auf die Ansätze und Ziele werfen, die das boomende Unternehmen verfolgt, gilt es, den wichtigsten aller Faktoren für eine umweltfreundlichere Zukunft zu benennen. Im Übrigen auch ein Anliegen von Patagonia selbst.

Mehr Nachhaltigkeit – Patagonia zwischen Nachhaltigkeit und Profit

Der wichtigste Baustein für eine nach haltigere Zukunft, die wir zwingend brauchen, wenn wir eines Tages noch auf unserem Planeten leben möchten, ist, unser eigenes Konsumverhalten in allen Lebensbereichen zu verändern. Denn letztlich sind wir als Gesellschaft der Auftraggeber für alles, was von Menschenhand produziert und konsumiert wird. Kaufen wir keine Fast Fashion, fehlt die Nach frage und das Hamsterrad für Designer und Produzenten, die alle am Rande des Burn-outs in dieser sinnlosen Schnelllebigkeit verbunden mit einem enorm hohen Arbeitsvolumen, Ressourcenverbrauch und Abfall gefangen sind, kommt zum Stillstand. Jeder Einzelne von uns sollte sich selbst und sein Konsumverhalten hinterfragen, was er tatsächlich braucht, um glücklich leben zu können. Ist es tatsächlich nötig, noch ein achtes Paar Sneakers zu kaufen? Und was ist dann der Mehrwert dieses Paars Turnschuhe? Werden wir dadurch interessanter, intelligenter, schreiben bessere Noten, nehmen durch die Schuhe ab oder bekommen durch das Tragen von ihnen einen besseren Job? Bestimmt nicht! Gleiches gilt für Klamotten, SUVs, Essen und einfach alles in unserem Alltag. Mit dieser Erkenntnis müssen wir uns ehrlicherweise an die eigene Nase fassen und uns eingestehen, dass sich unser geistiges Niveau bezogen auf die richtigen Werte im Leben im Tiefflug befindet.

„Für die Marke stehen die Umsatzrekorde der vergangenen Jahre nicht im Widerspruch zur Firmenphilosophie der Nachhaltigkeit“

Patagonia hat seit seiner Gründung vor über 50 Jahren auf die richtige Flughöhe gesetzt und sensibilisiert seine Kundschaft seit jeher dafür, weniger zu kaufen und das Gekaufte dafür länger zu tragen, es zu reparieren, wenn ein Reißverschluss aus gerissen ist, und erst die Klamotte zum Recyceln zu geben, wenn sie tatsächlich auseinanderfällt. Würden wir alle diesem Vorsatz folgen, wäre dies die mit Abstand größte und effektivste Innovation in Sachen Umweltschutz seit der Industrialisierung.

Wir leben auch in einer Zeit, in der es so scheint, als ob Unternehmen nur noch erfolgreich sein können, wenn sie zig patentierte Ideen und Produkte in der Schublade liegen haben. Innovation für den Markt unter Konkurrenzausschluss sozusagen, vom Patentamt freigegeben. Auch hier hat sich Patagonia für einen anderen Weg entschieden und keine Patente auf ihre umweltschonenderen Produktionsprozesse oder Materialien angemeldet. Eine Entscheidung gegen den Turbokapitalismus und für die Rettung der Natur! Denn das Unternehmen hat erkannt, dass es allein wenig für den Umweltschutz mit seinen umweltschonenderen Techniken erreichen kann, doch je mehr Unternehmen auf den Eco-Zug aufspringen, desto größer ist die Chance, dass wir unsere Erde retten können.

Don’t buy this jacket – Patagonia zwischen Nachhaltigkeit und Profit

Eine der sicherlich innovativsten Kampagnen der vergangenen Jahre war Patagonias Anzeige in der „New York Times“ 2011, als sie auf einer ganzen Seite eine Patagonia-Jacke zum Black Friday präsentierten mit dem Slogan „Don’t buy this jacket“. Die Botschaft dieser Kampagne war klar, doch ging es Patagonia bei dieser Werbung mehr darum, den Konsumenten zum Nachdenken anzuregen, ob er tatsächlich eine neue Jacke benötigt, anstatt kategorisch von einem Kauf abzuraten. Mit dieser simplen wie genialen Kampagne gingen die Umsätze der Marke steil bergauf und sorgten weltweit für Aufsehen.

En vogue zu sein und immer mehr Ware abzusetzen ist für ein Unternehmen, das die Nachhaltigkeit predigt, eine riskante Gratwanderung. Da hilft es auch nicht, vdass ein Prozent des Firmenumsatzes in Umweltprojekte fließt. Oder die „Blue Heart“-Petition für den Finanzierungsstopp von Staudämmen, um in Europa die letzten wil den Flussläufe zu schützen. Oder all die Verbesserungen bei der Nachhaltigkeit in den Produktionsabläufen.

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Kritiker halten all das Engagement für Marketing, um mit dem Öko-Trend zu schwimmen und daran gut zu verdienen. Zudem mischt Patagonia auch erfolgreich auf einem anderen Markt mit: einer erfolgreichen Militärsparte. Lassen sich Patagonias Maximen wie Natur-, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit tatsächlich in Einklang mit der Armee bringen? Beim Start eines Kampfjets wird so viel Kerosin aus den Triebwerken geblasen, dass dies im Multiplikator auf alle militärischen Aktivitäten gesehen die nachhaltigen Anstrengungen von Patagonia verpuffen lässt. Zudem liegt es nahe, dass Käufer, die bewusst Patagonia aufgrund der Philosophie kaufen, das Brand ethisch infrage stellen, wenngleich das Bewusstsein gegenüber dem Militär in den USA ein anderes ist als bei uns in Europa.

„Eine Entscheidung gegen den Turbo-Kapitalismus und für die Rettung der Natur“

Nachhaltigkeit hin, Militär her. Es gibt nur wenige Unternehmen, die mit solch großem Engagement wie Patagonia versuchen, die Herstellung von Textilien so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten, und uns zudem noch dazu auffordern, weniger und bewusster zu konsumieren. Warum wir Patagonias nachhaltige Philosophie gut finden, ist klar, aber warum wir mehr Patagonia-Produkte trotz seiner eindringlichen Botschaft konsumieren, ist weniger eindeutig festzumachen.

Aus: Prime Snowboarding Magazine #17

https://patagonia.com