Nicolas Müller hat mit „Fruition“ seine Vision eines Snowboard-Films verwirklicht. Und natürlich ist es kein 08-15-Werk geworden!

„Fruition“ ist eine auf Nicolas Müllers Geschichte basierende Zeitreise. Das Werk sollte weniger ein Gleichziehen mit anderen Größen unseres Sports werden, die schon einen Snowboard-Film ihr Eigen nennen dürfen. Die Schweizer Style-Ikone wollte eher einen Film zum Anfassen und Mitmachen produzieren. Ein Streifen, der die Zuschauer dazu ermuntern soll, sich mehr selbst zu verwirklichen und das Besondere in sich und ihren Mitmenschen entdecken, sowohl im Schnee, als auch im alltäglichen Leben.

Wer einen reinen Snowboard-Film von Herrn Müller erwartet, kennt zum einen den Mann nicht, zum anderen wird er enttäuscht, was weiter nicht schlimm ist, denn es gibt ja jede Menge andere Actionstreifen – auch mit Nicolas – die über die Enttäuschung hinweghelfen werden. Vielmehr soll der Film zugänglich für alle Menschen sein, die Snowboarden lieben oder sich einfach nur dafür interessieren. „Fruition“ möchte die Snowboard-Kultur ehren und geht darüber hinaus, indem der Film ermutigt seiner Intuition zu folgen und seine persönliche Fruition (deutsch: Selbstverwirklichung) zu finden. Go figure!!!!

Nicolas Müller und Fredi Kalbermatten bei der Arbeit | © Silvano Zeiter
Nicolas Müller und Fredi Kalbermatten bei der Arbeit | © Silvano Zeiter

In dem Streifen werden Genres wie Cinematic Reenactments mit metaphorischen Bildern, Dokumentarisches mit Reise- und Actionaufnahmen verzahnt und ergeben so einen etwas anderen Snowboardfilm, der Nicolas Riding, aber auch seine Auffassung vom Leben widerspiegeln soll.

Interview mit Martin Luchsinger

Martin skatet seit 1988. Als er im Alter von 13 Jahren sein erstes Pro-Skateboard bekam, war dem jungen Schweizer noch nicht bewusst, dass dieser Augenblick richtungsweisend für sein Leben sein würde. Im selben Winter begann er auch mit dem Snowboarden. Mit 16 Jahren absolviert der inzwischen völlig vom Boardsport infizierte Züricher eine Ausbildung als Verkäufer im ersten Skate- und Snowboardshop der Stadt. Dort traf er auch Nicolas Müller zum ersten Mal, als er ihm sein erstes Skateboard verkaufte. Diese fabelhafte Geschichte fanden die beiden ein paar Jahre später heraus, als sie zusammen skaten waren. Durch das Skateboarden lernte Martin viele Leute aus der ganzen Welt kennen, die ähnlich wie er den Brettsport zu ihrem Lebensinhalt machten. 2006 gründete er mit Daryl Hefti – ebenfalls begnadeter Skater – YEAHH PRODUCTIONS ZÜRICH und drehten gemeinsam ihren ersten Snowboardfilm „PUBLIC YEAHH“ auf 16 mm. Seither ist Martin der Filmerei verfallen und hat sie zu seinem Beruf gemacht. Neben Größen wie Nicolas Müller, Travis Rice oder Gigi Rüf, mit denen er auch Werbeclips für deren Sponsoren umsetzte, realisiert der mittlerweile fokussierte Produzent Werbeclips für internationale Konzerne. Laut eigener Aussage hat Martin durch Skateboarden und Snowboarden eine eigene Sicht der Dinge entwickelt, die ihm bei der Visualisierung von Geschichten sehr zugute kommt.

Martin Luchsinger, der Produzent des Films | © Silvano Zeiter
Martin Luchsinger, der Produzent des Films | © Silvano Zeiter

Was erwartet den Zuschauer in „Fruition“?
„Fruition“ ist ein Film, der in drei Strängen aufgebaut ist. Ein Strang handelt davon, dass man Träume haben darf. Und noch wichtiger, dass man diese Träume auch verfolgen kann. Das erzählen wir anhand von Nicos Geschichte.

Ist der Film eine Nicolas Müller-Biografie?
Nein, der Film ist eher mit als nur über Nicolas. Anhand seiner Geschichte soll der Zuschauer dazu animiert werden, ein stückweit zu sich selbst zu finden und sich zu verwirklichen. Wir wollen mit „Fruition“ keine großen Helden generieren, sondern vermitteln, dass grundsätzlich jeder ein Held sein kann. Geht raus auf den Berg, fühlt euch selbst und feiert eure Freunde, wenn ihnen etwas gelungen ist, egal, ob es sich dabei um einen 30-Meter-Kicker oder einen simplen Turn handelt.

Die Budgets für Snowboard-Filme sind knapp und Travis‘ „The Fourth Phase“ scheint mit Superlative nalle anderen Filme des Jahres in den Schatten zu stellen. Ist 2016/17 wirklich der richtige Winter für „Fruition“?
Die Snowboard-Industrie hat in der Tat nicht mehr die Gelder, um aus eigener Kraft viele Filme zu produzieren oder um viele Produktionen unterstützen zu können. Von daher könnte man den Rückschluss ziehen, dass der Zeitpunkt nicht wirklich ideal ist. Auf der anderen Seite ist es aber vielleicht genau der richtige Augenblick, um neue Impulse zu setzen. Und was die Superlative betrifft, finde ich das, was Travis da geschaffen hat, mega cool, sehe aber in dem Film kein Problem für unser Projekt.

Nico und Manuel Diaz | © Andrew Miller
Nico und Manuel Diaz | © Andrew Miller

Das Interesse an Snowboard-Filmen hat generell nachgelassen. Was braucht ein Film heute, um diese Negativentwicklung zu stoppen oder gar zu drehen?
Die Filme da draußen sind wirklich gut, nur für meinen Geschmack sehr eintönig und für den Betrachter oft nicht mehr nachvollziehbar. Ich erinnere mich gerne zurück, als wir vor 20 Jahren Skate- und Snowboard-Filme geschaut haben. Es war die Zeit, in der Movies einfach der Shit waren. Damals konnten wir die Dinge, die wir da sahen, begreifen und meist auch nach ein paar Wochen selber auf unseren Brettern umsetzen, da war man Teil einer Szene und ihrer Entwicklung. Das war pure Identifikation. Das gibt es heute leider fast nicht mehr.

Du meinst, dass die Filme den Leuten da draußen eine Zweiklassengesellschaft vermitteln, in der sie die zweite Geige spielen?
Das Gap zwischen den Profis und dem Rest ist einfach zu groß und zu technisch geworden. Früher waren es Emotionen, die die Leute erreicht und abgeholt haben, heute ist es vermehrt die „Technik“. Das kann in der emotionalen Brettsport-Kultur, in der wir uns bewegen, nicht funktionieren. Ich sehe es als Aufgabe eines jeden Pros, dass er sich nicht nur technisch weiterentwickelt, sondern dass er auch die Freizeit-Shredder durch sein Riding und sein Auftreten berührt, abholt und motiviert, selber shredden zu gehen.

Ihr wollt also eine Brücke zwischen Pro und dem Rest der Snowboard-Welt schlagen?
Natürlich wollen wir das! Aber auch Travis mit „The Fourth Phase“ und seinem Riding wird die Leute abholen. Mit diesen unterschiedlichen Filmen, egal ob Blockbuster, Grassroot-Movie oder was wir nun mit „Fruition“ vorhaben. Es geht doch darum, endlich die Leute wieder miteinzubeziehen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen vor allem die Diversität, die Snowboarden zu bieten hat, zu präsentieren.

Zwei Schweizer Snowboarder, die eine lange Geschichte und Freundschaft verbindet und deren Wege doch oftmals nicht unterschiedlicher hätten verlaufen können: Nico und | © Silvano Zeiter
Zwei Schweizer Snowboarder, die eine lange Geschichte und Freundschaft verbindet und deren Wege doch oftmals nicht unterschiedlicher hätten verlaufen können: Nico und | © Silvano Zeiter

Kann man einen Snowboardfilm, wie in eurem Falle, wirklich mit einer Handlung belegen, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass man sich innerhalb der Szene ins Abseits schießt?
Wir wollen metaphorisch und visuell eine Geschichte inszenieren, die so simpel wie einleuchtend ist. Es geht um eine Geschichte, die uns alle betrifft, wenn wir sie nur zulassen. Ich bin dankbar dafür, dass ich mit Nicolas dieses Projekt umsetzen durfte, denn seine Art zu snowboarden zeigt genau auf, um was es geht und wie es gehen kann.

Die Erwartungen an Nicolas‘ Snowboarden sind bei den Zuschauern hoch, aber er wird ihnen gerecht. War die Realisierung dieses Projekts für dich nicht belastend, da die Leute bei dir die gleiche Messlatte ansetzten wie bei Nico?
Es war natürlich eine große Herausforderung, aber definitiv eine sehr schöne! Wir hatten keinerlei Verpflichtungen irgendwelchen Sponsoren gegenüber und zudem eine Crew, die wirklich einzigartig gut miteinander funktionierte. So etwas ist schnell gesagt, aber nur sehr selten tatsächlich der Fall. Egal, ob Grafiker, Filmer, Werber, Kostüm oder Musiker, alle Beteiligten sind Vollprofis auf ihrem Gebiet und hatten mega Bock, dieses Projekt zu realisieren. Außerdem haben wir alle als langjährige Skater eine prägende gemeinsame
Verbindung, die uns intuitiv dabei geholfen hat, in die gleiche Richtung zu denken und zu arbeiten.

Welches Genre trifft auf „Fruition“ zu?
Action-Doku-Fiction!

>> Hier könnt ihr euch noch einmal den Trailer zum Film anschauen und erfahren, wo ihr ihn euch in voller Länge besorgen könnt

>> Silvano Zeiters Buch „Honey Ryder“ zum Film und was ihr darüber wissen solltet

aus: Prime Snowboarding Magazine #07