Ein Interview mit Nicolas Müller bietet immer Platz für Kontroverses und Überraschendes. Er ist und bleibt einzigartig, genau wie sein Film „Fruition“.

Es gibt wenige Superstars, die gerne auf ihren Star-Status verzichten. Einer dieser wenigen ist Nicolas Müller. Allerdings macht er mit „Fruition“ eine Ausnahme und bedient sich seiner Bekanntheit, um für seinen erstenFilm zu werben, den er eigentlich so gar nicht als nur seinen Film empfindet. Einen Platz in der Hall of Fame des Snowboardens hat Nico sowieso schon sicher, also pfeift er in „Fruition“ darauf mit geballter Action den nächsten klassischen Film auf den Markt zu schwemmen. Lieber fährt der smarte Schweizer mit seinem Film eine ganz individuelle Line, so wie er es eigentlich immer tut und wofür wir ihn lieben, weshalb er ja auch zum Superstar wurde. Was es mit „Fruition“ auf sich hat, erzählt er euch hier im Interview.

Ist dieser Film eine Art Dokumentation über deine Selbstverwirklichung?
Mit „Fruition“ wollen wir den Zuschauer dazu animieren, sich mehr selbst zu finden und selbst zu verwirklichen. Das muss nicht immer das ganz große Ding sein, sondern es geht auch klein und in fast jeder Lebenssituation. Leider sind wir oft von anderen Themen so beeinflusst, dass wir uns selbst nicht mehr wahrnehmen und leben.

© Silvano Zeiter
© Silvano Zeiter

Stellt „Fruition“ ein neues Genre im Snowboard-Film dar: Der Esoterik-Snowboard-Action-Movie?
Bei den momentanen Trends, würdenwir mit dieser Ausrichtung unsere Zielgruppe schlagartig um ein Vielfaches erweitern können, keine schlechte Idee [lacht]. Spaß beiseite. Es geht doch darum, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, so auch im Snowboarden. Aber jeder Mensch hat seine individuellen Stärken, die man systemisch nur schwierig messen und vergleichen kann. Der Film soll auch vermitteln, dass – wenn man sich gegenseiti gunterstützt und feiert – jeder ein Gewinner sein kann.

Das heißt, dass der Film neben gutem Snowboarden auch als Appell für mehr Menschlichkeit im Snowboard-Biz verstanden werden soll?
Es geht darum, dass man sich und seine Umwelt so nimmt wie sie ist und als solche auch unterstützt. Leider ist es meistens anders, denn wenn man keinen Erfolg vorweisen kann, ist man auch niemand. Hat man Erfolg, steht man zwar im Mittelpunkt, rückt dabei aber direkt in den Fokus der Nichtsgönner, die einem ans Bein pissen wollen. Das kann’s einfach nicht sein. Unsere Gesellschaft fördert ein Plansystem und Neid. Wo bleibt da noch der Raum zum Träumen und sich selbst zu verwirklichen?

Das Fahrer Set-up von „Fruition“ ist mit Terje Håkonsen, Jake Blauvelt, Mark McMorris, Manuel Diaz, Fredi Kalbermatten und dir sehr hochkarätig.
Im Grunde sind Fredi, Manuel und ich die Hauptakteure. Mit Terje, Jake und Mark hatte ich jeweils Sessions oder gemeinsame Trips, die Teil des Films wurden.

Terje Haakonsen und Rip Zinger, der ewige Snowboard-Nomade | © Silvano Zeiter
Terje Haakonsen und Rip Zinger, der ewige Snowboard-Nomade | © Silvano Zeiter

Bisher warst du immer nur Teil eines Filmprojektes und konntest dich komplett auf dein Snowboarden konzentrieren. Wie war das hier, wo du in alle Abläufe involviert warst?
Natürlich war die Umsetzung des Filmes eine Herausforderung, vor allem, weil ich den Film zu einem guten Teil aus eigener Tasche finanziert habe. Aber auf der anderen Seite konnten wir uns dadurch völlig frei bewegen und den Film so realisieren, wie wir das gerne wollten.

Das heißt, der Hauptsponsor des Filmes bist du selbst?
Das ist ein stückweit richtig. Aber ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass Snowboarden es mir ermöglicht hat, mein Leben weitestgehend so zu gestalten, wie ich es für richtig halte. Zudem muss ich keinem anderen Job nachgehen und konnte mir durch das, was ich mache, eine eigene Existenz aufbauen. Mit diesem Film und dem damit verbundenen Invest möchte ich auch für all das Danke sagen, was mir Großartiges widerfahren ist. „Fruition“ ist für mich auch ein Geschenk zurück an den Sport, die Leute, die diesen Sport lieben und die, die mich in meiner Laufbahn unterstützt haben.

Wie würdest du reagieren, wenn aufgrund des Erfolges von „Fruition“ Red Bull daraufhin mit dir „The Fifth Phase“ produzieren möchte?
Das RB Mediahouse ist ein starker Vertriebspartner, keine Frage. Aber wenn der Film wirklich so heftig einschlagen sollte, bin ich mir fast sicher, dass nicht nur Red Bull an einem weiteren Filmprojekt Interesse haben könnte. Im Augenblick sind wir unabhängig und genießen diese Freiheit – von der ja letztlich auch der Film handelt. Außerdem lieben wir Wasser und Bier…

© Silvano Zeiter
© Silvano Zeiter

Wie kam es eigentlich zu der Idee für „Fruition“?
Das war vor ca. sechs Jahren, allerdings war es damals nicht mehr als eine Idee. Martin Luchsinger und ich haben damals während der Drehs für meine Werbespots herumgesponnen, dass wir eigentlich mal einen untypischen Snowboard-Film machen sollten, einen, auf den wir einfach Bock haben, der vielleicht auch etwas Verrücktes ist, etwas Neues. Aber wie gesagt, das waren lange Zeit nur Gedankenspiele.

Und wann wurde die Sache konkreter?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich erst vor einem Jahr eine klare Idee davon entwickelt, was ich mit diesem Film überhaupt möchte.

Kannst du das noch etwas genauer erklären?
Viele meiner Freunde und Kollegen kamen mit ihren eigenen Filmen in den letzten Jahren raus. Überspitzt formuliert, waren diese Filme auch nur weitere Snowboard-Filme mit letztlich Trick-an-Trick-Sections und einem Abspann danach. Mit „Fruition“ möchte ich mich an die nächste Generation wenden und ihr zeigen, dass es nicht nur um Platz eins gehen muss. Viele junge Fahrer stecken jahrelang in Verbandskadern fest mit nur einem vorgegebenen Ziel: Olympia! Da wird nur noch auswendig gelernt, das gemacht, was der Trainer vorgibt. Im Grunde bilden die jungen und talentierten Snowboarder eine Snowboard-Armee, die für ihr Land in den Kampf um olympisches Gold zieht. Am Ende gibt es aber nur einen Gewinner, der aber auch nur kurz den Fame genießt und anschließend nicht selten merkt, dass er ausgebrannt ist und die Sache doch nicht so geil war, wie es ihm verkauft wurde und er viele Jahre seines Lebens dafür geopfert hat.

Du meinst, die „Fruition“ fehlt indiesem System?
Es ist schon okay, wenn man mal was reißen will und in den Kampf zieht. Nur, wenn man aus dem Krieg zurückkommt, muss man nicht nochmals auf das Schlachtfeld ziehen. In der Regel ist man auch nach so einer Erfahrung weiser und kann dieses Wissen weitergeben und sinnvoll nutzen.

Kannst du zum Schluss den Film in wenigen Sätzen für unsere Leser zusammenfassen?
„Fruition“ ist menschlich. Es geht um die Geschichte von Freude und Freundschaft, die über Grenzen und Kulturen hinweg verbindet. Egal, ob du im japanischen Powder mit einem Einheimischen, der kein Wort englisch spricht, unterwegs bist oder daheim mit deinen Kollegen: Freude ist ein lebensnotwendiges Gefühl, das global verstanden wird, aber leider allzu oft von uns ausgeblendet wird. Wer gerne auf den Berg zum Snowboarden geht und sich und seine Freunde so akzeptiert wie sie sind, kennt das großartige Glücksmoment, von einem echten Sieg fürs Leben, von ehrlicher Freude.

Nicolas Müller – Shortcuts

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